Die Sonne scheint auf das Kopfsteinpflaster und blendet mich sogar durch meine Sonnenbrille hindurch. Ich kneife die Augen zusammen und drehe mich einmal im Kreis: Ich stehe mitten im jüdischen Viertel Prags und warte darauf, einen Blick in die Vergangenheit der Stadt zu werfen. Hinter mir, im zweitältesten Haus Prags, befindet sich das Ziel, das mein Historikerherz höher schlagen lässt: Ein altes Alchemisten Labor aus dem 16. Jahrhundert.
Das Haus selber lässt sich auf das Jahr 900 n.Chr. zurückdatieren, ist also deutlich älter als das Labor. Historiker gehen davon aus, dass es früher durch seine Lage in der Nähe einer mittelalterlichen Handelsroute dazu genutzt wurde, um Waren aus aller Herren Länder zu verkaufen. Erst ab dem 15. Jahrhundert kann in den Quellen dann eine Kräuterapotheke nachgewiesen werden, in der wahrscheinlich auch alchemistische Elixire feilgeboten wurden.
Das Wissen um das Labor unter dem Haus ist über die Jahrhunderte allerdings verloren gegangen. Dass es jetzt wiederentdeckt wurde, ist mehr einem Zufall zu verdanken als historischem Spürsinn.
Hochwasser in Prag
Wie das sein kann? Ganz einfach: Prag ist durch die nahegelegene Moldau häufiger hohen Wasserständen ausgesetzt. 2012 war es wieder soweit und Teile des alten jüdischen Viertels wurden überflutet. Während man versucht hat, das Wasser abzupumpen, ist es passiert: Ein durch das Hochwassser unterspülter Tunnel ließ eine Straße unter sich kollabieren. Nachdem das Wasser entfernt worden war, folgten die Arbeiter dem Tunnel und entdeckten, dass er zu dem Haus in der Haštalská Straße Nummer 1 führte. Die Frage war nur: Wo war der Eingang in besagtem Haus? Denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte man keinen Schimmer wo man ihn dort würde finden können.
Aurum nostrum non est aurum vulgi – Unser Gold ist kein gewöhnliches
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es soweit ist. Ich überquere die Straße vor dem Alchemie-Museum Speculum Alchemiae und werfe einen letzten Blick auf dessen Türen, an denen Glasgefäße hängen. Gefüllt sind sie mit glitzernden Flüßigkeiten, Kräutern und Dingen, von denen ich gar nicht wissen will, was sie mal waren. Drinnen ist es schummrig. Mich erwartet eine Art Verkaufsraum, in dem noch mehr von den geheimnisvollen Fläschchen stehen. Aber die sollen mich erst einmal nicht interessieren, denn wir – eine Gruppe aus zwei Familien und mir – wird nun von einer jungen Frau begrüßt. Sie stellt sich als unser heutiger Tour-Guide vor und verspricht uns in die besondere Geschichte des Hauses einzuweihen. Bevor wir weiter hineingehen, erzählt sie uns aber zuerst etwas über die Alchemie.
Denn auch wenn wir Alchemie heute vor allem durch die Rezeption diverser Filme mit der Suche nach Gold verbinden, ist dieser alte Zweig der Naturphilosophie doch viel mehr. Die Suche nach Gold wurde erst im Mittelalter und der Frühen Neuzeit wirklich populär. Das lag daran, dass die Fürsten, die kronisch knapp bei Kasse waren, versuchten, ihre Vermögen mit den Versprechen der Alchemisten zu füllen. Deshalb finanzierten sie Laboratorien, in denen versucht wurde, einfache Metalle in Gold zu transformieren. Das klappte allerdings eher leidlich. Trotzdem wurden bei den Experimenten viele andere Verfahren entdeckt, sodass aus diesem praktisch orientierten Teil der Alchemie später die heutige Chemie hervorging. Ein anderer, älterer Teil der Alchemie befasste sich wiederum mit eher philosophischen Fragen. Zwar spielte die Transformation auch hier eine Rolle, bezog sich aber mehr auf eine geistige Ebene.
Nach dieser ersten Einführung, dreht sich unser Tour-Guide um und öffnet eine Tür, die tiefer hinein ins Haus führt.
Das Alchemisten Büro
Durch einen engen Gang folgen wir ihr im Gänsemarsch in ein Büro, das zwar auf den ersten Blick skurril wirkt, aber nicht unbedingt wie das Versteck von Alchemisten. Es ist vollgestopft mit allem möglichen: Auf einem Kaminsims thronen zwei ausgestopfte Echsen neben einer Vielzahl von Tinkturen und Fläschchen, einem Schädel und abgebrannten Kerzen. Daneben hängen Kräuterbüschel von der Wand. Ein Schreibtisch und die Bücherwand sind ähnlich zugestellt.
Ein zweiter Blick zeigt dann aber ziemlich deutlich, dass der ganze Tand sehr wohl seinen Zweck hat, denn fast alles in diesem Raum ist auf die ein oder andere Weise symbolisch aufgeladen. Jede Ecke der Decke ist zum Beispiel mit den Zeichen der vier Grundelemente Feuer, Wasser, Erde und Luft bemalt. Im Glauben der Alchemisten erzeugten diese Zeichen Energien, die gebündelt werden mussten, um sie danach in die eigenen Arbeitsprozesse miteinzubeziehen. Das wiederum war aber nur möglich durch einen Kronleuchter, der immer noch genau dort hängt, wo sich alle Achsen der Energien treffen – nämlich in der Mitte des Raumes. Der Kronleuchter bündelte die Energien dabei nicht nur, sondern leitete sie auch durch seine Form nach unten weiter: Direkt hinein in das Labor der Alchemisten.
Warum der Leuchter mit gehörnten Figuren dekoriert sei, fragt ein Mädchen rechts von mir.
Das, so erklärt unser Guide, sei kein Zeichen für den Teufel oder dafür, dass die Alchemisten ihn angebetet hätten. Die Gestalt stelle Moses dar und die Hörner gehen auf einen Übersetzungsfehler zurück.
Versteckt hinter dem Bücherregal
Jetzt, sagt sie, sei es aber an der Zeit, einen Blick auf das wahre Alchemisten Labor zu werfen. Ich erwarte eine Falltür unter einem Teppich oder einen abgehängten Eingang. Aber nein. Stattdessen zaubert sie einen anderen Klassiker aus dem Hut: Das Bücherregal. Einmal blinzele ich und schon schwingt ein Teil des Regals nach innen. Hinter ihm führt eine Treppe ins Dunkel.
Ich muss als Erste gehen – das Mädchen, das vorhin die Frage nach den Hörnern gestellt hat, traut sich nicht. Ich eigentlich auch nicht, aber was solls. Irgendwer muss es ja tun und unser Guide wirkt nicht so, als würde sie diesen Part übernehmen wollen, das sagt jedenfalls ihr Grinsen.
Also gehe ich. Langsam und nicht ohne dem Mädchen einen bösen Blick zuzuwerfen. Die Stufen sind nass und ich muss aufpassen, mir nicht den Kopf zu stoßen. Stufennormen kannten die mittelalterlichen Baumeister schließlich nicht, dementsprechend uneben sind sie.
Unten angekommen begrüßt mich schummriges Licht und ein in die Wand eingelassenes Panel, aus dem mich wieder das Gesicht mit den Hörnern anstarrt. Irgendwie gruselig. Ein Schauer kriecht über meinen Rücken und ich wende mich eilig ab. Um mich abzulenken lasse ich meinen Blick durch den Gang schweifen und dann sehe ich es: Das Labor. Es wirkt surreal, als ob die Apparaturen aus Glas zusammengewachsen wären. Vielleicht sind sie das über die Jahrhunderte auch.
Im Auftrag Rudolf II.
Nach und nach kommt der Rest der Gruppe unten an. Als Letzte unser Tour-Guide. Sie zeigt auf das Panel neben mir und erklärt, dass der verwitterte Text darauf davon zeugt, dass das Labor von Rudolf II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs von 1576 – 1612, finanziert worden sei. Rudolf litt wie viele seiner Vorgänger an Geldnot und versuchte über die Alchemie seine Staatskasse aufzubessern.
Wie das in der Praxis aussah, schauen wir uns in fünf Räumen an. In zweien sind immer noch die originalen Apparaturen aufgebaut, mit denen die Transformationsprozesse durchgeführt wurden. Ein Raum beherbergt einen Ofen, ein weiterer ist ein Lager. Im letzten trockneten die Alchemisten die Kräuter, mit denen sie arbeiteten.
Während wir mit eingezogenen Köpfen durch den engen Gang wandern, erklärt uns unser Guide, dass sich um das Haus viele Sagen ranken. Eine davon besagt, dass der Teufel in ihm ein und aus gegangen sei; festgemacht wurde das an den Rauchschwaden, die öfter um es herum aufgestiegen sein sollen. Im Nachhinein, sagt sie, sei es ziemlich klar, dass daran nicht das Übernatürliche, sondern das Labor schuld sei. Das Mädchen scheint nicht wirklich überzeugt und hängt sich fester an den Arm ihres Vaters.
Zurück ans Tageslicht
Als wir uns satt gesehen haben, gehen wir zurück nach oben. Das Bücherregal schwingt an seinen Platz und das Büro wirkt wieder wie eine wilde Mischung aus skurrilen Kleinigkeiten. Zumindest würde es das, wenn wir jetzt nicht wüssten, dass jede dieser Kleinigkeiten eine Bedeutung hat.
Wir gehen zurück durch den Gang, durch den wir auch hineingekommen sind. Kurz bevor wir wieder im Verkaufsraum stehen, fällt mir ein Spruch auf, der fast verblasst an der Wand steht und den ich auf dem Hinweg gar nicht bemerkt habe: Non pudor est nil scire pudor nil discere velle. Frei übersetzt heißt das so viel wie: Es ist keine Schande etwas nicht zu wissen, aber es ist eine nichts lernen zu wollen. So viele Betrüger auch versucht haben im Namen der Alchemie Geld zu machen, das macht sie mir trotzdem irgendwie sympathisch. Schließlich haben erst die vielen Fehlschläge Entwicklung ermöglicht. Und sollte es nicht auch unser Ziel sein, so viel wie möglich zu lernen?
Was? | Museum of Alchemy | Speculum Alchemiae |
---|---|
Öffnungszeiten? | Mo-So: 10-18 Uhr |
Eintritt? | Erwachsene: 200 CZK, umgerechnet ~ 8 Euro |
Da hast du einen einzigartigen Einblick in die Vergangenheit bekommen, liebe Anna. Fast ein bisschen wie bei Harry Potter.
Lg, Daniela
Stimmt, das habe ich mir auch gedacht. Vielleicht hat sich Rowling ja von den Alchemisten inspirieren lassen. ;-)
das ist ja ganz unfassbar cool!!! *.* kaum zu glauben, wieviel unentdeckte schätze vielleicht noch irgendwo in unseren städten schlummern!
Das habe ich auch gedacht; gerade in Städten mit sehr langer Geschichte – wie Prag – ist da mit Sicherheit noch einiges unentdeckt. :)
[…] Ganz oben auf der Liste von faszinierenden Dingen steht für mich das Speculum Alchemie: Ein wiederentdecktes Alchemisten Labor aus dem 16. Jahrhundert. Das Haus, unter dem es versteckt wurde, ist das inzwischen zweitälteste von Prag und im ehemaligen Jüdischen Viertel der Stadt gelegen. Wer auf Geheimgänge, aufklappbare Bücherregale und Sagen und Legenden steht, der muss sich dieses einmalige Museum unbedingt anschauen. Aber auch unter (wissenschaftlich) historischer Perspektive ist das Speculum Alchemiar definitiv einen Besuch wert. Wenn euch mein Besuch des alten Alchemisten Labors interessiert, könnt ihr hier meinen Reisebericht mit detaillierten Hintergrundinfos lesen. […]
[…] es hier natürlich auch jede Menge spannende Museen und historische Orte, die du besuchen kannst. Allen voran möchte ich das Speculum Alchemiae empfehlen. Gelegen in einem der ältesten Häuser Prags, lernst du hier die Geschichte der Alchemie lebendig […]
[…] Alchemisten in Prag: Im Speculum Alchemiae auf der Suche nach den Goldmachern […]