Amish Farm Lancaster

Zu Gast bei den Amish: Wie ich mir den Kopf an einem Bibelvers stieß

Lancaster. Ich schaue aus dem Autofenster auf die sanft geschwungenen Hügel der US-Ostküste und frage mich, wie zur Hölle ich eigentlich hierher gekommen bin. Ich fahre hinter einem Pferdegespann, immer auf eine Gelegenheit zum Überholen wartend. Eigentlich wollte ich doch nur einen kurzen Stop im Outlet Center einlegen, aber aus dem Plan ist irgendwie eine ganze Nacht geworden.

Aus Gettysburg auf der Durchreise im Land der Amish

Amish Farm and House

Ich komme aus Gettysburg und befinde mich eigentlich nur auf der Durchreise. Die Amish Farm, die mir die Rezeption des Hotels heute morgen empfohlen hat, ist dann aber doch zu interessant, um sie nicht zu besuchen. Also habe ich mich auf den Weg gemacht. Aber um ehrlich zu sein sieht es hier ganz und gar nicht nach Farmidylle und Landluft aus. Eher nach Target und Fastfood Ketten. Vielleicht habe ich mich verfahren?
Das Navi sagt nein und um es mir mit der strikten Dame nicht zu verscherzen, die mich schon seit Tagen durch das Hinterland führt, beschließe ich, der Adresse wenigstens eine Chance zu geben.
Ich steige aus, schließe den Wagen ab und schaue mich um. Keine zwanzig Meter entfernt steht ein Haus, das so gar nicht in die Beton und Glas Welt der innerhalb weniger Wochen hochgezogenen Einkaufszentren und Fastfood Tempel passen will. Ich drehe mich um und gehe darauf zu. Na bitte, „Amish Farm and House“ steht auf einem kleinen Schild und ich betrete den urigen Vorgarten.

Amish: Zu Besuch in einer anderen Welt

Sobald sich die Tür des Hauses hinter mir schließt, sind die ratternden Einkaufswagen passé. Es ist, als ob ich zweihundert Jahre in die Vergangenheit versetzt werde und als ich den Garten erreiche, habe ich das Laute und Ungemütliche schon fast vergessen. Ich setze mich auf eine Bank und schaue mich um: Eine Scheune mit offenem Tor steht zu meiner Rechten, vor ihr einer der typischen Buggys, in denen die Amish sich fortbewegen. Direkt vor mir laufen einige Nutztiere hinter einer großzügig abgetrennten Weide auf und ab.

Heuballen, Sonnenblumen und Esel

Ich erkunde die Farm zu Fuß, laufe vorbei an Eseln, Heuballen und Sonnenblumen, die ihren Kopf hängen lassen. In einiger Entfernung sortiert ein Junge Kleinigkeiten, die er wohl verkaufen möchte. Seine ganze Erscheinung wirkt, wie alles hier, wie aus der Zeit gefallen.
Ich setze mich auf eine Bank und genieße die Sonne, die auf mein Gesicht scheint. Dann breche ich auf und schließe mich der geführten Tour an, die mir die Lebensweise der Amish, ihre Ansichten und Glaubensweisen erklären soll. Vor dem Eingang zum Farmhouse wartet ein alter Herr. Er stellt sich als Joe vor und erklärt, dass wir die nächste halbe Stunde miteinander verbringen werden. Dann geht er hinein ins Haus und wir folgen.

Keine Elektrizität, kein Telefon oder Internet

Amish Farm and House

Drinnen fällt sofort auf, was für das Leben der Amish typisch ist: Es gibt keine Elektrizität, kein Telefon oder Internet. Das sei ganz normal, erklärt uns Joe, denn die Amish verzichteten bewusst auf die Errungenschaften der modernen Welt und pflügten auch ihre Felder nur mit Hilfe von Pferden. Was es mit den Kleidern auf sich habe, fragt eine amerikanische Touristin und deutet auf die ausgestellten Stücke, die neben dem Bett drapiert sind. Sie würden immer so traurig wirken. Joe nickt und übergeht den leichten Tadel im Tonfall der Dame, als er sagt: „Das Tragen von einheitlicher Kleidung ist Teil des Glaubens und soll verhindern, dass der Eindruck von Eitelkeit entstehen könnte.“ Genauso gehöre ein striktes Leben nach der Bibel zum Leben eines Amish dazu. Das höchste der Gefühle hinsichtlich einer Annäherung an die moderne Welt, so Joe, seien Batterien, die in manchen Gemeinden zugelassen seien. Oder mancherorts auch ein Hydraulikbetrieb. Das Benutzen von Fahrrädern sei hier in Lancaster für die Amish aber verboten, ebenso wie das von Autos. Auf die Frage, was mit Flugzeugen sei, lächelt er nur und winkt ab.

Amish: Ein Leben wie im 18. Jahrhundert

Amish Farm and House

Ich folge der Gruppe mit etwas Abstand und versuche mir vorzustellen, wie das ist, ein Leben wie im 18. Jahrhundert. Die Kamera um mein Handgelenk fühlt sich mit einem Mal verräterisch schwer an und auch der Autoschlüssel in meiner Tasche wirkt fehl am Platze. Ich habe nicht wirklich ein schlechtes Gewissen, wieso auch, aber es wird mir doch bewusst, wie anders die Menschen hier sind.
Wir steigen die Treppen aus dem ersten Stock wieder hinunter und Joe bittet uns, vor Ende der Führung noch einmal im Schulraum Platz zu nehmen. Dort angekommen schlägt er die Bibel auf und beginnt eine kurze Passage vorzulesen. Ein Raunen geht durch die Reihen und ich frage mich, weshalb. Für mich hört sich alles normal an, nichts was er vorliest, ist in irgendeiner Weise anders als das, was ich gelegentlich in den Weihnachtsgottesdiensten zu hören bekomme. Erst beim fünften Satz fällt mir auf, dass er Deutsch spricht.

Ob das eine Warnung gewesen ist?

Amish Farm and House

Ich muss unwillkürlich lächeln, verkneife mir aber den anderen die Überraschung und Herausforderung zu nehmen, als Joe fragt, wer die nächste Passage vorlesen will. Zwei junge Frauen plagen sich durch mehrere Verse, dann ist die Führung beendet. Einer nach dem anderen verlässt den Raum, noch immer diskutierend. Ich werfe einen letzten Blick auf die Bibel, die aufgeschlagen auf dem Pult liegt, drehe mich um und will den anderen nach draußen folgen. Stattdessen pralle ich mit voller Wucht gegen Holz. Schmerz explodiert in meiner Stirn und ich brauche einen Moment, bis sich die Sterne vor meinen Augen verzogen haben. Bei näherer Betrachtung muss ich feststellen, dass ich mir den Kopf am Haussegen gestoßen habe. Ob das eine Warnung gewesen ist? Oder vielleicht doch eher ein Bekehrungsversuch?

Dieses Mal vorsichtig

Beim zweiten Versuch ziehe ich meinen Kopf bewusst tief zwischen die Schultern und verlasse das Amish Haus ohne weitere Blessuren. Was auch immer man mir sagen wollte, eins weiß ich sicher: Ich habe Einblick in eine einzigartige Lebensweise bekommen, die mich fasziniert aber auch ein wenig erschrickt. Nichtsdestoweniger bin ich froh, wieder in meinen Mietwagen zu steigen und Lancaster hinter dem nächsten Buggy zu verlassen.

Ziel Lancaster, Amish Farm and House
Unterkunft Lancaster Arts Hotel
Website www.amishfarmandhouse.com

Und ihr so? Habt ihr euch auch schon mal an einem Bibelvers gestoßen? Oder die Amish besucht? Lasst es mich in den Kommentaren wissen. :-)

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sileas

Das ist sehr unterhaltsam geschrieben! Ich fand Lancaster auch total interessant, obwohl ich leider nicht in dem Museum war. Ich kann mich noch an die ganzen deutschen Namen erinnern, die dort überall auftauchen. Unsere Gastgeberin hat sogar versucht ein paar Brocken Deutsch mit mir zu sprechen, aber ich hab kein Wort verstanden. Ihr Dialekt ist doch sehr eigen :P

Christina

Hallo Anna,
nein, die Amish habe ich noch nicht besucht. Würde mich aber auch mal interessieren, wie das da so ist. Das Leben in früheren Jahrhunderten kennt man heute ja eigentlich nur noch aus dem Museum. Kaum vorstellbar, dass Leute freiwillig auf jegliche Weiterentwicklungen verzichten, aber auf jeden Fall mal einen Besuch wert.
Viele Grüße
Christina

Maria

Ich bin beeindruckt – vom Artikel und vom Leben der Amish. Dass heute ein so abgeschottetes Leben überhaupt möglich ist, kann einen nur verwundern. Allein schon die kleinen Annehmlichkeiten des Lebens, wie ein simpler Wasserkocher, würden mir unglaublich fehlen. Aber ich bin ja auch kein Amish. Wenn man das nicht anders kennt, ist das wahrscheinlich kein Problem. Man kann nichts vermissen, was man nicht kennt, nicht wahr?
Liebe Grüße
Maria

Bernadette

Ja, wirklich sehr interessant. Was für eine Zeitreise. Gut, so könnte ich selbst heute nicht lben, aber ich finde den Gedanken auch schön, mal innezuhalten und auf Wesentliches zu schauen.
Viele Grüße!

Tabitha

Ich hätte gar nicht gedacht, dass so ein Kurz-Einblick möglich ist. Sehr spannend! Was ich nicht einschätzen kann ist, ob die dort aufgewachsenen eine echte Wahl haben. Aber das“Öffnen“ für Besucher ist vielleicht ja schon ein ganz gutes Zeichen dafür…

Hermann
Hermann
Reply to  Anna

Denk nur an den Begriff ‚Rumspringa‘. Die Jugendlichen Amishe lernen die Moderne kennen. Sie werden erst bei ihrer Rückkehr in die Gemeinde getauft, wenn sie sich für dieses Leben bewusst entscheiden.

Steffi

Super geschrieben, danke für diesen Einblick in eine auf jeden Fall interessante Lebensweise! ;)

Rainer Fattmann
Rainer Fattmann

Das Gelände ist wunderschön. Wir waren im September dort, ohne Führung. Alles sehr eindrucksvoll, auch ein Gespräch mit einer alten Lehrerin im Schulhaus. Man kann das Museum nur empfehlen.
Wenn man aber dort ist, sollte man sich noch etwas Zeit nehmen, mal links und rechts der Bundesstraße abzufahren und auf Nebenstraßen die Amish auf ihren Kutschen im Alltag zu sehen, evtl. auch an einer der vielen „Covered Bridges“ in der direkten Umgebung.

Thomas

Ein sehr schöner Bericht. Ich hoffe, der Kopf hat es unbeschadet überstanden.

Den Link zur Farm habe ich direkt gespeichert, für unsere NY-Tour, wo wir auch noch auf der Suche nach ein paar Orten im Hinterland sind,

LG Thomas

Zypresse

Wir haben Lancaster 2014 besucht, es war spannend und interessant – aber verstehen, nein, das werde ich den Glauben und die Grundsätze der Amischen wohl nicht. Dennoch, es ist eine anregende Erfahrung den Kontrast zu sehen: auf der einen Seite das schnelle, hektische, konsumorientierte Leben – das wir wohl alle gewöhnt sind, das uns stresst, anstrengt, so manches Mal nervt. Und im Unterschied: eine Gruppe von Menschen, die sich entscheiden für ein einfaches Leben, mit wenig Konsum, ohne die maschinellen Erleichterungen schwerer Arbeit, die zu dritt mit einem Pferdewagen ein großes Maisfeld abernten, die ungerührt mit dem Pferdewagen oder dem… Read more »

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