Ellis Island Ankunftshalle Entry New York 2

Ellis Island: Ein Besuch auf der Insel der Hoffnung

Nach einer gefühlten Ewigkeit winkt mich der Ordner zu sich. Ich schultere meinen Rucksack und gehe an Bord. Ich habe mindestens zwei Stunden gewartet, um auf das Schiff in Richtung Ellis Island zu gelangen – es war eine Spontanentscheidung, die ich aber auch im Nachhinein nicht bereue. Und um ehrlich zu sein: Irgendwie hat sich das Warten auch ziemlich authentisch angefühlt. Auch wenn die Einwanderer, die mit Schiffen auf Ellis Island angelandet sind, damals natürlich dort gewartet haben und nicht wie ich am Pier in Manhattan.

Ellis Island Gebäude Building New York

Auf dem Weg ins Ungewisse

Das Schiff legt ab und wir schippern gemütlich über den Hudson, das erste Ziel ist die Freiheitsstatue. Es ist voll. Aufgeregtes Stimmengewirr. Viele verschiedene Sprachen. Ich schließe die Augen und denke einen Augenblick lang daran, wie es wäre, wenn ich mit diesem Schiff über den Atlantik gefahren wäre. Wenn ich meine Heimat zurückgelassen hätte, um in einem unbekannten Land ein neues Leben anzufangen. Wenn ich nicht einmal die Sprache beherrschen würde, die in diesem Land gesprochen wird. Dann docken wir an Liberty Island an und so gut wie alle Passagiere verlassen das Schiff. Kurz habe ich Angst, dass ich mich in die falsche Schlange gestellt habe, doch dann geht es weiter. Ziel: Ellis Island.

Mir war zwar klar, dass die Freiheitsstatue mehr Menschen anzieht, dass Ellis Island aber so stiefmütterlich behandelt wird, damit hätte ich nicht gerechnet. Natürlich ist Miss Liberty das Wahrzeichen New Yorks, aber steht die kleine Insel direkt daneben nicht in ebenso großem Maße für die Vergangenheit der Stadt?

Ankunftshalle Entry New York

Ankunft auf Ellis Island

Ich steige mit den verbliebenen fünf Touristen aus. Wir haben Dezember und es weht ein kalter Wind. Möwen stehen neben mir in der Luft. Vom Dock aus werfe ich einen ersten Blick auf die Gebäude, die sich gegen einen wolkenverhangenen Himmel ducken. Sie wurden nach dem Hurrikan Sandy renoviert, trotzdem sind es die gleichen, die die 12 Millionen Einwanderer zwischen 1892 und 1954 durchlaufen mussten.

Die medizinische Untersuchung

Dann mache ich mich auf den Weg, die Geschichte der Insel noch besser kennenzulernen. Der Audioguide führt mich durch Hallen, erklärt mir das Prozedere, dem sich die Einwanderer stellen mussten. Die erste Treppe, die sie hinaufsteigen mussten, um zur Ankunftshalle zu gelangen, diente zum Beispiel dazu, zu prüfen, ob die Menschen körperlich gesund waren oder schon bei dieser geringen Anstrengung Zeichen von Schwäche zeigten. Fiel den Ärzten, die die Einwanderer untersuchten, etwas auf, wurden die Menschen mit Kreide „markiert“. Ein X auf der oberen rechten Schulter etwa deutete auf angebliche mentale Probleme hin. Ein H auf Herzprobleme, ein X mit einem Kreis auf eine genauer bestimmte andere Krankheit. Als mental instabil konnte man sogar schon dann eingestuft werden, wenn man vor Erleichterung endlich sein Ziel erreicht zu haben, weinte.

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Die Befragung auf Ellis Island

Nach der medizinischen Untersuchung folgte die Befragung. Im sogenannten Registry Room konnten bis zu 5.000 Personen gleichzeitig warten. Entsprechend anstrengend war die Zeit, nervenaufreibend, nachdem man vielleicht gerade jemanden gesehen hatte, dem es nicht erlaubt worden war, in die Vereinigten Staaten einzureisen. Jeder Beamte hatte ungefähr zwei Minuten pro Person, um darüber zu entscheiden, ob dieser Mensch sein neues Leben beginnen durfte oder zurück in die alte Heimat geschickt wurde. Gab es Zweifel, wurde die Person auf Ellis Island für weitere Befragungen festgehalten.

Ellis Island war deshalb für viele zwar der Eingang in ein neues Leben, für manche war es aber auch das Ende ihrer Träume. Die meisten Menschen durften zwar einreisen, trotzdem wurden manchmal Familien voneinander getrennt. Etwa 2% der Einwanderer wurden abgewiesen, die restlichen Menschen erhielten ihre „Landing Card“, mit der sie nach New York ein- oder weiterreisen durften. Denn nicht jeder blieb im Big Apple.

Miss Liberty Freiheitsstatue New York

Die Landing Card in den Händen

Hatte man die Bestätigung über die Einreise, ging alles ganz schnell: Geld musste getauscht, Tickets gekauft werden – wenn man nicht in New York bleiben wollte. Und natürlich durfte auch das Gepäck nicht vergessen werden! Danach ging es los: Hinein in ein Leben, das vielleicht nicht einfacher war als das, was man zurückgelassen hatte, aber in den meisten Fällen frei gewählt.

Auch ich stehe wieder am Dock und warte auf meine Fähre zurück nach New York. Die Führung ist beendet, das Schicksal so vieler Menschen hat mich tief berührt. Ihre Geschichten haben hier zwar nicht begonnen, aber eine entscheidende Wendung genommen. Was für eine mutige Entscheidung!

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Mirella
Mirella

Die Geschichte von Ellis Island ist wirklich spannend! Mir hat die Insel auch sehr gefallen. Es war auch sehr leer, genau wie bei dir.

Dana
Dana

Wirklich schön geschrieben! Ich konnte richtig in den Beitrag versinken.

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