Wie ich in Los Angeles‘ Geisterschiff eincheckte, während ich nach Hawaii flog
„Was ist denn das für ein Titel?“, werden sich einige jetzt sicher fragen. Das geht ja gar nicht, werden sie mit erhobenem Zeigefinger zu bedenken geben. Aber ich versichere euch: Doch, das geht. American Airlines hat es möglich gemacht.
Ich ziehe mir die dürftig dünne Wolldecke halb über den Kopf und versuche, den Lärm des Flughafens um mich herum auszublenden. Ich bin inzwischen dreißig Stunden wach. Und ich bin gestrandet: Am Flughafen Los Angeles.
Fünf Minuten versuche ich die Augen zuzumachen und wenigstens ein bisschen Schlaf zu finden. Da trampelt neben mir eine Horde wütender Passagiere vorbei, die sich wild gestikulierend unterhalten. Ich und die Frau neben mir, die ebenfalls in eine Decke gehüllt auf dem Boden liegt, tauschen einen vielsagenden Blick. Wir sind beide schon über die Wutphase hinaus. Was geblieben ist, ist pure Erschöpfung. Eigentlich hätte ich in diesem Moment in Honolulu landen sollen.
Eigentlich.
Denn die Airline, mit der ich fliege, hat sich kurzfristig dazu entschlossen, den Flug aus immer wieder neuen dubiosen Gründen zu verschieben. Erst zehn Minuten. Dann vierzig. Danach zwei Stunden. Dann auf den nächsten Morgen.
Die Lounge dürfe man nicht benutzen, Informationen fließen träge und ungenau. Immerhin: Für genug Chips ist gesorgt.
Zu guter Letzt: Hotelgutscheine
Ich drehe mich auf die Seite und kneife die Augen zusammen. Das helle Neonlicht triggert meinen Kopfschmerz, der um etwa 22 Uhr eingesetzt hat – nach sieben Stunden warten. Schließlich setze ich mich wieder auf und knabbere an einem Cookie. Die Schlange vor dem Schalter reißt nicht ab, die Kluft zwischen Unzufriedenheit und Resignation wird immer größer.
Nach zwei gefühlten Ewigkeiten ist es schließlich soweit: American gibt sich geschlagen, der Flug wird endgültig gecancelt, mein Ticket auf den nächsten Morgen umgebucht. Für die Nacht werden Hotel Gutscheine ausgeteilt.
Wieder Los Angeles
Zusammen mit zwei Paaren stehe ich in der lauen Luft einer typisch kalifornischen Frühlingsnacht. LA flirrt um mich herum, eine Mischung aus Hupkonzert und Hintergrundrauschen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich diese Stadt so schnell wiedersehe. Und vor allem hätte ich nicht gedacht, dass mich LA schon wieder nicht loslassen will.
Nach mehreren Versuchen, es ist zwischenzeitlich kurz nach Mitternacht, steigen wir in ein Shuttle. Es soll uns direkt zum Hotel bringen. Welches das ist, glaube ich selbst kaum und hätte ich nicht Google gefragt, wäre ich wohl noch überraschter gewesen. Denn statt uns in einem der Airport Hotels unterzubringen, hat American uns in der Queen Mary eingebucht.
In. Der. Queen. Mary.
Wäre ich nicht so müde gewesen, ich hätte vor Freude einen Luftsprung gemacht. Oder auch vor Angst. Schließlich ranken sich um die RMS Queen Mary so einige Geschichten, die meisten davon übernatürlicher Natur.
Queen Mary: Das Geisterschiff vertäut in Long Beach
So sollen an die 600 übernatürliche Wesen auf dem Schiff ihr Unwesen treiben und das, obwohl es dort gar nicht so viele Todesfälle gegeben hat. Begründet wird diese Vielzahl an Geistern mit der bewegten Vergangenheit des Schiffes. Die Queen Mary hat nämlich einiges gesehen: Zuerst war sie als Luxusliner zwischen der alten und neuen Welt unterwegs und querte dabei in regelmäßigen Abständen den Atlantik.
Später im Zweiten Weltkrieg diente sie als Transportschiff für Soldaten und ihr grauer Tarnanstrich brachte ihr den Namen „Grey Ghost“ ein. 1942 geschah dann das Unglück, auf das sich einige der Geister Sichtungen beziehen: Die Queen Mary kollidierte mit ihrem Begleitschiff, der HMS Curacao. Das leichtere Schiff brach in der Mitte durch und über zweihundert Matrosen ertranken. Im ehemaligen Frachtraum sollen deshalb Kollisions-Geräusche und Schreie zu hören sein. Auch an vielen anderen Stellen sollen Geister ihr Unwesen treiben: So soll ein Koch, der im Ofen verbrannte, in der Kombüse für Unruhe sorgen oder ein ehemaliges Crew Mitglied, das bei einer Feuerübung erdrückt wurde, im Maschinenraum umgehen.
Queen Mary: Kabine B340
Ganz besonders unruhig hingegen soll die Kabine B340 sein – so unruhig sogar, dass die Kabine nicht länger an Gäste vermietet wird. Hier soll es überdurchschnittlich häufig zu Beschwerden und Raum Änderungswünschen gekommen sein. Gäste berichteten davon, dass in der Nacht die Lichter an und aus gingen oder das Wasser mit einem Mal zu laufen begann. Sogar die Bettdecken sollen schlafenden Gästen weggezogen worden sein. Wer hinter dem Trubel steckt, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Es gibt allerdings mehrere blumige Geschichten rund um den Ursprung der Legende um Kabine B340.
Eine ruhige Nacht auf dem heimgesuchten Ozeanriesen
Ich wusste zwar, dass die Queen Mary einen gewissen Ruf weg hat, was die Geister Aktivitäten an Bord angeht, allerdings bin ich so müde, dass mir das auch egal ist. Ein bisschen mulmig ist mir zwar schon zu Mute, als wir von dem Shuttle vor dem ehemaligen Luxusliner abgesetzt werden, aber das Bedürfnis nach einer Dusche ist einfach zu groß.
Nach einer weiteren dreiviertel Stunde betrete ich endlich das Zimmer B490. Das Bett sieht wunderbar weich aus, nur die Kabine selbst ist eiskalt. So kalt, dass ich über die dicke Winterdecke und meinen Schal mehr als froh bin und sofort ins Bett falle.
In der Nacht geschieht nichts ungewöhnliches: Ich werde nicht geweckt oder von sonstigen paranormalen Ereignissen von meinen wohlverdienten zweieinhalb Stunden Schlaf abgehalten. Aber ehrlich? Ich hätte es auch nicht gemerkt, so fertig wie ich war.
Queen Mary: Abschied und Abflug
Um kurz vor fünf klingelt auch schon wieder der Wecker. Übernächtigt und Zähne klappernd ziehe ich mich an und treffe mich in der Lobby mit den anderen Passagieren von Flug AA109, die es ebenfalls in das Geisterschiff verschlagen hat. Mit dem nächsten Shuttle werden wir zurück zum LAX gebracht und besteigen mit einer weiteren Stunde Verspätung schließlich endlich unseren Flug nach Hawaii. Zuvor wurden wir allerdings mit dem schönsten Sonnenaufgang mit Schiffskulisse beglückt, den ich je erlebt habe. Von daher hatte der erzwungene Stopover auch einen kleinen aber feinen Vorteil – neben der Tatsache, dass ich auf dem bespuktesten Schiff an der amerikanischen Westküste übernachtet habe.
Habt ihr schon einmal auf der Queen Mary übernachtet? Und ist euch dabei etwas übernatürliches passiert? Lasst es mich in den Kommentaren wissen!
Wow – sehr cool! Sowas würde ich auch mal machen!
Aber nicht als Flugverspätung mit nur zwei Stunden Schlaf, glaub mir. ;-)
Das sind die Erlebnisse, die man im aktuellen Moment gerne verzichten möchte. Später aber sind es genau die Geschichten, an die man sich gerne erinnert, die wirklich erzählenswert sind – und die ich auch immer wieder gerne lese.
Viel Spaß weiterhin mit deinen Reisen.
Das stimmt. Selbst in meinem müden Zustand fand ich die Übernachtung auf dem Schiff schon irgendwie toll. Nur die Tatsache, dass wir nur 2 1/2 Stunden Schlaf hatten, hätte ich gerne anders gehabt. ;-)
Wir hatten 8 wunderbar ruhige Nächte auf der Queen Mary 2 bei unserer Atlantik Überquerung nach New York.
Auf der Queen Mary 2 war ich leider noch nicht. Selbst auf der RMS Queen Mary wäre ich nicht so schnell gelandet, wenn da nicht der gecancelte Flug gewesen wäre. :-) Erfahrungen mit Kreuzfahrtschiffen habe ich bisher nur mit MSC gemacht.
Das klingt nach einer anstrengenden Nacht – aber dafür gibt’s eine nicht-alltägliche Geschichte zu erzählen :)
Absolut. War auch eine Erfahrung. :)
Leider hab ich nicht in der Queen Maty übernachtet, aber wir haben auf dem Schiff die Ghosts & Legends Tour gemacht mit einem genialen Guide – der machte die Atmosphäre ganz schön spooky 👍🏼
Die Tour klingt auch toll; ich war ja eher durch Zufall da – sollte ich allerdings noch einmal bewusst zur Queen Mary fahren, werde ich sie auch machen. :)
Wie krass ist das denn? Und wie schade, dass du es mit der elenden Vorgeschichte nicht genießen konntest. Aber das ist auch absolut verständlich, ich wäre an dem Punkt auch einfach nur fertig gewesen.
Und trotzdem ist so ein cooler Beitrag dabei herausgekommen :)
Liebe Grüße
Magdalena
Dankeschön. :)
Wir haben vor drei Jahren dort eine Nacht übernachtet. Es war ein tolles Erlebnis, wenn auch ein bisschen gruselig dort abends durch die Gänge zu wandern. Die Kabine war optisch wunderschön und man hat sich sofort Jahrzehnte zurück gesetzt gefühlt. Ich habe so mittelmäßig geschlafen aber ich bin auch ein Angsthase mit viel Phantasie. Mein Freund hat super geschlafen. Die Übernachtung war übrigens recht teuer, also freue ich mich für dich, dass dir der verspätete Flug so ein tolles Erlebnis bereitet hat.
Liebe Grüße Lisa
Ich hätte gerne eine ganze Nacht dort verbracht. Die zwei Stunden waren dann leider doch etwas kurz und ich viel zu müde, um es wirklich genießen zu können. :)
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