Tourist vs Reisender

Wir sind so individuell

Warum ich gerne Touristin bin

Ist es euch auch schon aufgefallen? Nein? Na dann vielleicht jetzt: Reisen müssen immer möglichst individuell, nah an den Locals und um Gottes Willen auf gar keinen Fall Mainstream oder touristisch sein. Wo kämen wir denn da hin?
Seit ich aktiv in der Reiseblogger Szene unterwegs bin, springt mich diese Auffassung an jeder Ecke an, und – zugegeben – ich kann sie bis zu einem gewissen Grad auch nachvollziehen und praktiziere sie sogar selbst. Jeder strebt doch danach, seine Reise möglichst unvergesslich zu gestalten und wie ginge das besser, als ungewöhnliche Orte auszukundschaften, die vor einem noch keine anderen 3 Millionen Touristen ebenfalls entdeckt haben?
Soweit verstehe ich das Bestreben nach optimierter Individualität völlig. Wo es bei mir persönlich aber aufhört, sind beispielsweise Tipps wie: „Wenn du unterwegs bist, vermeide es bitte mit einem Stadtplan durch die Gegend zu laufen“ oder „Freiheitsstatue in New York? Willst du wirklich so touristisch sein? Schau dir lieber xyz an.“
Ernsthaft? Wie soll ich mich denn ohne Stadtplan oder Google Maps in einer fremden Stadt orientieren? Ich finde so schon nur mit Mühen zu meinem Hotel/Hostel zurück. Da will ich gar nicht wissen, wie das ohne Plan laufen würde. Spätestens wenn ich abends um halb zwölf frierend in irgendeinem Park stehe, hat es sich mit freiem und ungestörtem Entdecken der Stadt und „Verlaufen gehört dazu“ im Übrigen auch erledigt. Da will ich schlafen und zurück zu meiner Bleibe und habe definitiv keinen Bock mehr mich durchzufragen. Ach ja: Wenn ich in New York bin, will ich die Freiheitsstatue besuchen dürfen, ohne mir nachher vorwerfen lassen zu müssen, dass es ja viiiiel interessantere Dinge zu sehen gegeben hätte, die viiiiel weniger überlaufen gewesen wären. Ich weiß auch, dass es weniger überlaufene Spots gibt, aber ich wollte eben hier vorbeischauen. Und ja: Es ist touristisch hoch zehn. Na und?

Travelers hui, tourists pfui

Im Endeffekt läuft es in den Artikeln und Motto Fotos (vorzugsweise auf Facebook oder Instagram) immer darauf hinaus, dass wahre Reisende die typischen Touri-Anlaufstellen meiden wie der Teufel das Weihwasser. Aber warum eigentlich? Vergibt man sich etwas, wenn man sich das Kolosseum in Rom, die Tower Bridge in London oder die Pyramiden in Ägypten anschaut? Ich persönlich denke, dass viele dieser großen und bekannten Sehenswürdigkeiten nicht umsonst groß und bekannt sind. Denn sie sind einfach verdammt cool und ich möchte aus falsch verstandener Individualität heraus nicht darauf verzichten, solche Zeugen der Geschichte und Architektur (bezogen auf die genannten Spots) gesehen zu haben. Klar, Beispiele wie Venedig oder so mancher Küstenstreifen mit kilometerlangen Sonnenliegen Formationen (oder viele, viele mehr) zeigen, dass Tourismus auch seine Schattenseiten hat und dazu führen kann, dass die eigentlichen Einheimischen aus den bekannten Zentren vertrieben oder stark instrumentalisiert werden. Ich persönlich will mich der Verantwortung, die man als Tourist (ja, ich benutze dieses Wort absichtlich) meiner Meinung nach hat, auch gar nicht entziehen und ebenso wenig will ich abstreiten, dass Tourismus zerstörerisch wirken kann. Aber die andere Seite der Medaille ist, dass Tourismus Jobs schafft, Landstriche, die sonst in viel größerer Armut leben würden, über Wasser hält. Deswegen finde ich die pauschale Verteuflung von Touristen und Tourismus reichlich kurzsichtig, ist er doch ein Wirtschaftsfaktor, der für manches Land schon essentiell geworden ist (ob das jetzt erstrebenswert ist, ist eine andere Frage). Meine Betonung liegt dabei auf pauschal (falls das irgendwer überlesen haben sollte), denn – und das kann ich gar nicht häufig genug betonen – gerade als Tourist muss man auch darauf achten, ob man mit dem Kauf eines 1-Euro Artikels die lokale Wirtschaft oder ausländische Investoren unterstützt, die an jeder Ecke den gleichen Stand aufgebaut haben, um möglichst viel Geld zu machen. Aber das sollte sich von selbst verstehen (ist nur leider häufig nicht so, ich weiß).

 

Die Ballermann-Furcht

Eine andere Sache ist die Verwendung der Begriffe „Tourist“ und „Reisender“, auf die ich eigentlich hinaus möchte und deren Verwendung mir gerade auf Reiseblogs teilweise wirklich gegen den Strich geht. Ich möchte mit diesem Artikel niemanden angreifen oder die Art zu reisen verurteilen, die jeder für sich selbst als die beste erachtet. Mir geht es mehr darum, die Abgrenzung oder besser gesagt Ausgrenzung von „Touristen“ im Vergleich zu „Reisenden“ aufzuzeigen. Denn der Begriff „Tourist“ impliziert für viele anscheinend ausschließlich den zwei Wochen pauschal Malle Urlaub mit all-inklusive Versorgung, Havanna Club Hut und Strandliegen im Zentimeterabstand. Schade, wie ich finde.
Werfen wir mal einen Blick auf die Definition von Tourismus, wie sie im Gabler Wirtschaftslexikon gegeben wird (irgendwann musste sich das andauernde wissenschaftliche Schreiben für die Uni ja auch auf meine Blogartikel niederschlagen):

„Tourismus (Fremdenverkehr, touristischer Reiseverkehr) umfasst die Gesamtheit aller Erscheinungen und Beziehungen, die mit dem Verlassen des üblichen Lebensmittelpunktes und dem Aufenthalt an einer anderen Destination bzw. dem Bereisen einer anderen Region verbunden sind. Das Kriterium der Bewegung außerhalb des üblichen Arbeits- und Wohnumfeldes ist allein begriffsbestimmend.“
(Springer Gabler Verlag (Herausgeber), Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Tourismus, online im Internet: Gabler Wirtschaftlexikon)

Nach dieser Definition sind auch diejenigen, die mit Rucksack als Backpacker oder Flashpacker um die Welt reisen, Reiseblogger oder Langzeitreisende, man mag es kaum glauben, Touristen. Und ist das schlimm? Ich finde nicht.

Wie gesagt: Ich kann verstehen, dass man individuelle Erfahrungen machen möchte, die sich so in von vielen Touristen angesteuerten Destinationen nicht mehr finden lassen. Das ist auch vollkommen in Ordnung und jedem selbst überlassen. Doch macht es eine Reise besser oder schlechter, wenn jemand statt des Abenteuer-Roadtrips lieber zwei Wochen Städteurlaub macht? Wenn ich Hotels vor buche, weil ich im Notfall nicht gerne auf dem Rücksitz meines Mietwagens schlafe? Wenn ich den Koffer dem Rucksack vorziehe? Ehrlich, wenn mich das zu einem „Touristen“ macht, wie er von vielen „Reisenden“ verstanden wird, dann bin ich gerne einer. Denn im Endeffekt geht es beim Reisen doch darum, eine schöne Zeit zu haben, und nicht krampfhaft untouristische Ecken in einer von Touristen überlaufenen Welt zu suchen. Meine Meinung: Wenn man auf sie stößt – gut. Wenn man nicht auf sie stoßen möchte – auch gut.
Dass sich nicht alle Vorstellungen von einem perfekten Urlaub gleichen, macht für mich den Reiz des Reisens aus. Jeder hat die Möglichkeit, seine Reise mit dem zu füllen, was ihn glücklich macht – ob das nun die Kambodscha Rundreise oder ein zweiwöchiger Urlaub mit Freunden auf Malle ist. Es gibt so viele verschiedene Arten zu reisen, aber im Endeffekt eint uns doch die Tatsache, dass wir unseren Lebensmittelpunkt für eine gewisse Zeit hinter uns lassen wollen. Warum hat man es dann nötig sich und seine Reise gegenüber anderen vermeintlich weniger ambitionierten Reisenden aufzuwerten? Denn nichts anderes ist es doch: Der Versuch besonderer zu sein als die anderen, die besseren Erfahrungen zu machen. Aber wer definiert besser? Und warum muss man das überhaupt?

Damit sage ich nicht, dass man auf seinen Backpack Trip nach Südostasien nicht stolz sein darf. Ich sage nur, dass man nicht milde lächelnd auf die alljährlich am Mittelmeer urlaubende Camper-Familie hinabblicken sollte. Denn könnte man diese Familie nicht als wahre Spezialisten für ihren Ferienort verkaufen, die die tollsten Insidertipps geben, eben weil sie jedes Jahr an denselben Ort fahren? Als wahre Kenner der Destination, die sich viel intensiver damit auseinandersetzen als Leute, die fünf verschiedene Länder in drei Monaten bereisen?
Welche Art zu reisen die beste ist, ist meiner Meinung nach ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen – nicht machbar und vollkommen sinnlos noch dazu, denn je nachdem, wen man fragt, wird es andere Antworten geben. Was macht also den perfekten Urlaub aus? Ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Dafür weiß ich aber das: Es ist immer eine Frage der Perspektive.

So. Das musste mal raus. Habe schon ein bisschen Angst vor den Kommentaren, harre aber der Dinge. Jetzt ist eh nichts mehr dran zu ändern. ;-)

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Paleica
Paleica

liebe anna, ich habe dazu grade am montag einen beitrag veröffentlicht. vielleicht interessiert es dich ja. https://paleica.wordpress.com/2015/07/27/spanien-mit-apfelaugen-gedanken-ueber-die-bedeutung-von-reisedestinationen/ ich bemerke diesen trend nämlich auch und habe da für mich die notbremse gezogen. ich finde diese unart, jemanden zu verurteilen, weil man der meinung ist, man selber lebt die „bessere“ art des reisens, total nervtötend. klar gibt es viele menschen, die sich überhaupt nicht darum kümmern, was in dem land los ist in das sie reisen und für den schlechten ruf des „touristen“ sorgen. das sollte so natürlich nicht sein. aber wie du sagst – ich sehe nicht ein, warum ich mir… Read more »

Sileas

Ein gelungener Artikel wie ich finde. Wenn es darum geht wie „nachhaltig“ Tourismus ist, richtet der Pauschaltourist am Strandresort am wenigsten Schaden an. Immerhin befindet er sich in einem Gebiet, wo die Infrastruktur bereits vorhanden ist und die Menschen daran gewöhnt sind. Ein sog. „Traveler“, der „off the beaten path“ unterwegs ist, greift viel mehr in soziale Strukturen des Zielgebiets ein und gibt den Weg zum Massentourismus erst frei. Ob das gut oder schlecht ist, lässt sich schwer beurteilen. Aber niemand sollte sich von einer schönen Sehenswürdigkeit abschrecken lassen, nur weil sie mit vielen Anderen geteilt werden muss :)

Weltentdeckerin

Hallo, Ich finde schon dass die Begriffe Reisender und Tourist einen Unterschied machen. Natürlich ist man auch als Reisender per Definition ein Tourist, aber für meinen Sprachgebrauch finde ich, dass man so eher ein Lebensgefühl ausdruckt. Als Tourist verstehe ich persönlich, eine Reise in ein Tourismus-Zentrum, in ein Hotel oder Ähnliches, wo man All Inklusive Urlaub oder zumindest eine ziemlich durchgeplante und kurze Reise startet. Das Wort Reisender empfinde ich als viel offener. Es bedeutet für mich auch, sich über einen viel längeren Zeitraum in einem Land zu bewegen und direkt unter den Menschen zu leben, die dort sind. Im… Read more »

Sarah

Hallo Anna, ich bin gerade über deinen Artikel gestolpert und schon der Titel hat mich schmunzeln lassen. Man traut sich ja kaum, das in der Reisebloggerszene auszusprechen, aber es ist stellenweise so wahr! Mein Verlobter und ich haben mit dem Bloggen gerade erst begonnen und probieren uns ein bisschen aus, aber wo wir auch hinblicken und nach Tipps und Co. suchen kommt das Gefühl in uns auf, wir würden gar nicht „richtig“ reisen – weil wir eben nicht mit dem Rucksack monatelang unterwegs sind. Und in Hotels anstelle von Hostels schlafen. Oder weil wir uns eben auch Touri-.Hotspots anschauen (muss… Read more »

Jakob

Hallo Anna, Du triffst es mit diesem Artikel sehr gut. Ich selbst bevorzuge auf Reisen meist einen guten Mix aus „individuell“ und „Masse“, sprich in New York ein ausgedehnter Spaziergang durch ein interessantes Nebenviertel, nur um dann am Abend erst wieder aufs Empire State Building zu fahren. Wir sollten froh sein, dass Interessen verschieden sind und nicht alle demselben Ziel nachlaufen. Und jene die am Ballermann fahren, mir nicht anderswo in die Quere kommen ;-) Die „nur mit Handgepäck Reisenden“, „kein Stadtplan“ und so sind mit ihrem „Ich bin viel besser“ schon anstrengend mit der Zeit. Ich würde auch jederzeit… Read more »

Janine

Liebe Anna, ein schöner Artikel und ich schließe mich dir direkt an. Mir geht dieses „vermeidet bloß die Massen, lauft abseits der Wege“ ganz schön aufn Keks. Sorry. Nur weil ich ein Super-Individueller-Menschenmeidender Super Irgendwas sein soll, lasse ich mir doch nicht die Schönheiten dieser Welt entgehen. Klar liebe ich es auch in Kontakt mit den Einheimischen zu kommen, in fremde Bergdörfer abzutauchen, Urwald Wege zu gehen, an denen die Spinnennetze noch ganz frisch sind, weil noch niemand da war. Das ist richtig toll. Aber auch die Pyramiden, die Sagrada Familia, der Trevi Brunnen oder der Eifelturm sind toll. (Obwohl… Read more »

Anna

Hi Anna! Mega gute Idee von dir, mal so einen Beitrag zu schreiben und ich kann deinen Ärger verstehen! Jeder muss sein eigenes Ding machen und ich reise eben ganz normal mit Koffer, schlafe im Hotel oder Airbnb (je nach Lust & Laune oder Geld) und ob ein Platz touristisch ist oder nicht ist mir auch egal! Wenn ich einen Ort bereise, dann hat das einen Grund: weil ich von spannenden Plätzen und Orten gelesen oder sie im TV gesehen habe. Was ich allerdings nicht verstehe, aber respektiere, ist wie man in einem anderen Land Urlaub machen kann und dann… Read more »

Vani

Hi Anna,

sehr schön geschrieben dein Artikel :)

Ich finde auch das dass individuelle Reisen einfach viel mehr Spass macht.

Bei normalen Touristenattraktionen vergeht mir oft die Lust.

Ich möchte immer etwas persönliches erleben und Land und Leute kennen lernen auf meinen Reisen.

Gruß aus Australien

Backpackerin Vanessa

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